KUMMERKASTEN

Großbaustelle Pubertät

Sabine Marx im Interview

Die Pubertät ist eine besondere Lebensphase, in der Kinder zu Jugendlichen und schließlich zu jungen Erwachsenen werden. Auch wenn jeder von uns diese Phase selbst durchgemacht hat, fällt es Erwachsenen oft schwer, sich in pubertierende Kinder hineinzuversetzen. Wie überlebe ich als Elternteil die Pubertät meines Kindes?

Was passiert mit meinem Kind und seinem Körper? nach oben

Körperliche Veränderungen

Sabine Marx: Die Pubertät beginnt bei Mädchen etwa ab dem 10. Lebensjahr und bei Jungen ab dem 12. Lebensjahr. Individuelle Entwicklungsunterschiede sind ganz normal. Nicht alle Mädchen und Jungen machen die Veränderungen während der Pubertät zum gleichen Zeitpunkt durch. Die körperlichen Veränderungen werden durch die Ausschüttung verschiedener Hormone bewirkt.

Sabine Marx: Mädchen wachsen zwischen zehn und 14 Jahren drei bis zehn Zentimeter pro Jahr. Das Körperfett nimmt zu und sorgt für rundlichere Formen, die Hüfte wird breiter. Die Brüste beginnen sich langsam auszubilden und die ersten Scham- und Achselhaare wachsen. Im Körper vergrößern sich Scheide und Gebärmutter. Der sogenannte Weißfluss, ein glasig- weißlicher Ausfluss, setzt ein, einige Monate später die erste Regelblutung.

Sabine Marx: Jungen erleben im Alter zwischen zwölf und 16 Jahren einen Wachstumsschub. Ihre Körpergröße kann bis zu zehn Zentimeter pro Jahr zunehmen. Oberkörper und Brust werden breiter. Die Hoden wachsen und werden dunkler. Der Penis wächst zunächst in die Länge und nimmt etwas später auch an Umfang zu. Die Spermienproduktion beginnt und es kommt zum ersten Samenerguss. Zuerst fängt die Schambehaarung an zu sprießen, dann die Achselhaare und etwas später nimmt auch die Behaarung an Armen, Beinen und Brust zu. Der Bart wächst zunächst über der Oberlippe, gegen Ende der Pubertät auch an Wange und Hals. Die Stimmbänder werden länger, der Kehlkopf größer. Es kommt zum Stimmbruch und die Stimme wird tiefer.

Sowohl bei Mädchen und Jungen können häufig Pickel und andere Hautunreinheiten auftreten. Durch die Hormonumstellung schwitzen Pubertierende mehr und entwickeln einen stärkeren Körpergeruch. Der Schlafrhythmus von Teenagern verändert sich: Sie bleiben abends länger wach und sind morgens dementsprechend müde.

Seelische und geistige Veränderungen

Sabine Marx: Gerne wird das Gehirn pubertierender Kinder mit einer großen Baustelle verglichen. Kaum genutzte Nervenverbindungen verschwinden, dafür werden andere ausgebaut und neue Verbindungen geknüpft. Das Gehirn wird schneller und leistungsfähiger. Die Region hinter der Stirn, der sogenannte präfrontale Kortex, gilt als das Kontrollzentrum des Gehirns. Es sorgt dafür, dass wir vernünftige und wohlüberlegte Entscheidungen treffen können. Die Umbauaktionen dieses Bereiches dauern am längsten. Dadurch lassen sich viele Verhaltensweisen von Pubertierenden erklären wie zum Beispiel erhöhte Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen, größere Risikobereitschaft, Vergesslichkeit oder eine gewisse Entscheidungsschwäche.

Sabine Marx: Während der Pubertät wollen junge Menschen herausfinden, wer sie sind und wie sie sein möchten. Es ist eine Phase des Ausprobierens, des Austestens oder auch Überschreiten von Grenzen, des Widerspruchs. Sie spüren den Wunsch, Einfluss auf die Welt zu nehmen und fragen nach dem Sinn ihrer Existenz. Großer Übermut und Selbstüberschätzung kann sich abwechseln mit Unsicherheit, großen Zweifeln und Gefühlschaos.

Sabine Marx: Pubertierende empfinden sich selbst nicht mehr als Kinder, aber auch noch nicht der Welt der Erwachsenen zugehörig. Manche Veränderungen machen Angst. Sie suchen nach Anerkennung und Zugehörigkeit unter Gleichaltrigen und möchten gleichzeitig etwas Besonderes sein. Freunde werden zu den wichtigsten Gesprächspartnern. Die Pubertät ist eine Phase der Abnabelung von den Eltern.

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1. Selbstvertrauen stärken

Sabine Marx: Vermeiden Sie Kommentare zu Figur und Aussehen. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit nicht auf vermeintliche Defizite, sondern auf die Stärken und die Talente. Zeigen Sie Ihrem Kind immer wieder, dass Sie es so lieben, wie es ist.

2. Sexuelle Aufklärung

Sabine Marx: Erklären Sie Ihrem Kind alles Notwendige, was es über die sexuelle Entwicklung und Verhütung wissen muss. Manchmal wird ein direktes Gespräch als peinlich empfunden. Dann können Sie Ihrem Kind Broschüren und Linktipps bereit legen und ihm so selbst überlassen, wann es hineinschaut. Bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) finden Sie hilfreiche Infomaterialien und auf klicksafe.de sind verschiedenste Beratungsangebote gebündelt.

3. Miteinander reden und Freiräume lassen

Sabine Marx: In der Pubertät ist es normal, dass Ihr Kind weniger Lust auf gemeinsame Familienaktivitäten hat, sich häufiger Mal zurückzieht, vieles mit sich ausmacht oder mit Freunden bespricht. Lassen Sie ihm Freiräume und drängen Sie sich nicht auf. Sie können Ihrem Kind sagen, dass es jederzeit zu Ihnen kommen kann, egal mit was.

Fragen können oft als Kontrolle oder Verhöre empfunden werden. Interessieren Sie sich für das, was ihr Kind unternimmt und beschäftigt. Erzählen Sie auch von sich und worüber Sie sich Gedanken machen. Gute Gelegenheiten können dafür gemeinsame Mahlzeiten, ein Spaziergang oder ein Einkaufsbummel sein. Oft ergeben sich auch ganz spontan und ungeplant Gelegenheiten, um ins Gespräch miteinander zu kommen. Seien Sie offen für solche Situationen.

Unvernünftiges Verhalten, Risikobereitschaft und Regelverstöße gehören zur Phase der Pubertät dazu. Wenn Ihr Kind etwas ausgefressen hat und Ihnen davon erzählt, ist das ein großer Vertrauensbeweis. Reagieren Sie nicht mit Vorwürfen, Ihr Kind weiß, wenn es Fehler gemacht hat. Nach der ersten Aufregung können Sie in ruhiger Atmosphäre die Situation und mögliche Konsequenzen besprechen.

4. Veränderungen verstehen

Sabine Marx: Das Wissen über die körperlichen Abläufe während der Pubertät und die Veränderungen im Gehirn kann Ihnen helfen, nicht auf jede Provokation, Überreaktion und Launenhaftigkeit des Kindes genervt zu reagieren. Atmen Sie tief durch und nehmen Sie das Verhalten Ihres Kindes nicht (zu) persönlich.

5. Erinnern Sie sich an die eigene Pubertät

Sabine Marx: Wie haben Sie selbst die Phase der Pubertät erlebt? Was hat Sie damals beschäftigt? Was fiel Ihnen schwer? Was war aufregend und schön? Welche Dummheiten haben Sie angestellt? Wie war Ihr Verhältnis zu den Eltern? Welches Verhalten hätten Sie sich damals von Ihren Eltern gewünscht? – Ihre Erinnerung lässt Sie mehr Verständnis für die Verhaltensweisen Ihres Kindes während der Pubertät haben und unterstützt Sie dabei, gelassener damit umzugehen.

6. Verantwortung übertragen

Sabine Marx: Geben Sie Ihrem Kind auch Freiräume, eigene Entscheidungen zu treffen und übertragen Sie ihm Verantwortung. Akzeptieren Sie, wenn Ihr Kind anderer Meinung ist als Sie. Eigene Haltungen und Werte zu entwickeln, gehört zum Erwachsenwerden dazu. Wenn es zu Konflikten kommt, reagieren Sie nicht mit starren Verboten oder Strafen. Zeigen Sie sich offen für die Argumente Ihres Kindes und bereit für Kompromisse.

Stand: 24.02.2023, 11:49 Uhr