KUMMERKASTEN
Papa oder Mama?
Sabine Marx im Interview
Für eine Familie bedeutet eine Trennung viele Veränderungen. Welche emotionalen Phasen durchleben Eltern und Kinder? Wie können Eltern ihr Kind auf eine Trennung vorbereiten? Sabine Marx erklärt Hintergründe und beschreibt Möglichkeiten, sich Hilfe zu holen.
Was löst eine Trennung bei allen Beteiligten aus? nach oben
Welche Phasen durchlaufen Eltern bei einer Trennung?
Sabine Marx: Eine Trennung ist verbunden mit sehr starken, tiefgehenden Gefühlen wie Enttäuschung, Wut, Angst und Trauer. Es ist ein Abschiednehmen von der Vorstellung, gemeinsam als Paar durchs Leben zu gehen, gemeinsam eine Familie zu bilden und glücklich miteinander zu leben.
Bis es zur Entscheidung kommt, sich zu trennen, gehen meistens Phasen von Unzufriedenheit, Konflikten und Auseinandersetzungen voraus. Man ist vom anderen enttäuscht, fühlt sich verletzt, missverstanden, betrogen oder allein gelassen. Oft kommen ein schlechtes Gewissen oder sogar Schuldgefühle hinzu, dass man den Kindern das Aufwachsen in einer intakten Familie nicht mehr ermöglichen kann und das Familienglück und das Glück der Kinder zerstört.
Wie reagieren Kinder auf eine Trennung?
Sabine Marx: Kinder spüren, wenn sich etwas im Miteinander der Eltern verändert und leiden, wenn Mutter und Vater sich immer häufiger streiten, wenn es laut wird oder wenn die Stimmung angespannter und aggressiver wird. Für Kinder ist eine Trennung immer eine große Herausforderung und Belastung. Sie empfinden sie erst einmal als heftige Erschütterung in ihrem Leben, die starke Ängste auslösen kann. Ihr größter Wunsch ist, dass die Eltern zusammenbleiben und die Familie nicht auseinanderbricht.
Welche Phasen durchlaufen Kinder bei einer Trennung?
Sabine Marx: Kinder können je nach Alter und Temperament sehr unterschiedlich reagieren - wütend und aggressiv, verzweifelt, traurig oder in sich gekehrt.
Kinder im Alter von ein bis zwei Jahren können Ängste entwickeln, dass auch der verbliebene Elternteil, bei dem sie überwiegend leben, sie verlassen könnte.
Kinder im Alter von drei bis fünf Jahren denken nicht selten, sie seien schuld, dass die Eltern sich nicht mehr lieb haben und sich trennen möchten.
Bei Schulkindern können die Leistungen in der Schule schwächer werden. Oder das Gegenteil tritt ein: Sie reagieren überangepasst und versuchen möglichst alles besonders gut und richtig zu machen. Sie spüren, wenn es ihren Eltern nicht gut geht, leiden mit ihnen, sorgen sich oder versuchen zu vermitteln. Sie können in einen Loyalitätskonflikt geraten und sich überfordert fühlen in dem Versuch, es beiden Elternteilen recht zu machen.
Kinder im Alter von zehn bis 13 Jahren befinden sich in der Phase der beginnenden Pubertät. Eine Trennung kann das für diese Phase typische Gefühl der Verunsicherung und die Selbstzweifel auf dem Weg der Identitätsfindung noch zusätzlich verschärfen.
Für ältere Kinder im Alter von 14 bis 18 Jahren spielen Gleichaltrige eine große Rolle. Im Idealfall finden sie in ihrem Freundeskreis Trost und Unterstützung. Manchmal lösen sie sich schneller und konfliktreicher von den Eltern oder übernehmen Verantwortung für einen Elternteil oder kleinere Geschwister, die ihrem Alter nicht angemessen ist und sie überfordern kann.
Checklist: Kinder vorbereiten nach oben
Vor und in der Trennungszeit ist es wichtig, dass Eltern ihr Kind auf die Trennung vorbereiten. Dazu sollten beide Elternteile das Gespräch miteinander suchen und ihrem Kind von Anfang an möglichst offen und fürsorglich begegnen.
Steht die Trennung fest, kommen auf Eltern viele rechtliche Fragen zu. Sie müssen sich unter anderem über das Sorgerecht, das Umgangs- und Besuchsrecht und über Unterhaltszahlungen einigen.
Das gemeinsame Sorgerecht bleibt in der Regel für beide Elternteile bestehen. Eltern müssen sich nach einer Trennung auf ein zukünftiges Lebensmodell einigen.
- Soll das Kind bei einem Elternteil wohnen und das andere regelmäßig sehen (Residenzmodell)?
- Lebt das Kind abwechselnd bei seinen Eltern und wechselt in einem bestimmten Rhythmus (Wechselmodell)?
- Oder pendeln die Eltern, während das Kind in der gleichen Wohnung bleibt (Nestmodell)?
Vom Lebensmodell hängt auch die Unterhaltsregelung ab, auf die sich die Eltern einigen. Die Unterhaltshöhe ist je nach Einkommen des Verdienenden, nach Alter des Kindes und nach Anzahl der leiblichen Kinder unterschiedlich. In Deutschland dient die Düsseldorfer Tabelle als Grundlage für die Berechnung.
Für das Kind ist es wichtig zu wissen, was sich in seinem Leben durch die Trennung ändern wird. Auch wenn nicht alle Veränderungen im Alltag absehbar sind, sollten Eltern versuchen, ihrem Kind diese möglichst deutlich aufzuzeigen.
- Wo werden die Eltern und das Kind wohnen?
- Wie oft wird das Kind seine Eltern sehen?
- In welcher Form wird trotzdem familiäres Zusammenleben stattfinden?
- Um vorherzusehen, welche Veränderungen für das Kind schwierig sind, können Eltern überlegen, welche (gemeinsamen) Aktivitäten wie Hobbies, familiäre Rituale oder feste Familienzeiten dem Kind besonders wichtig sind. Können diese weiterhin stattfinden?
Eine Trennung kann für ein Kind weitreichende Konsequenzen haben (z. B. Umzug, Schulwechsel oder Trennung von Geschwistern). Eltern sollten sich deswegen einigen, bei welchen Entscheidungen ihr Kind Mitspracherecht haben soll. Äußert ein Kind seine Meinung, sollten Eltern seine Wünsche und Bedürfnisse berücksichtigen, es aber nicht mit einer emotional schwierigen Entscheidung alleine lassen.
Es ist wichtig, dass Eltern ihren Kindern in allen Phasen der Trennung Gesprächsbereitschaft signalisieren. Am besten sprechen Eltern zu Beginn gemeinsam mit ihrem Kind. Sie müssen sich nicht übertrieben harmonisch zeigen, sollten aber offene Streits vermeiden.
In den Gesprächen ist es wichtig, dem Kind konkrete Informationen über die anstehenden Veränderungen zu geben, Ängste anzusprechen und den Blick auf geplante Aktivitäten in der Zukunft zu richten. Kinder suchen die Schuld für die Trennung oft bei sich. Indem Eltern ihrem Kind zeigen, dass es keine Schuld trägt und beide Elternteile weiterhin für es da sind, können sie es bei der Verarbeitung der Trennung unterstützen.
Die Ängste des Kindes sollten Eltern immer wieder ansprechen und sie ihnen in Gesprächen nehmen. Hilfreich kann es sein, die Zukunft als etwas Schönes und Sicheres anzukündigen und gemeinsam Pläne zu machen.
Nicht alle Kinder werden Verständnis für die Trennung haben. Für ihren Ärger, ihre Trauer und ihre Wut sollten Eltern ihnen Raum geben. Um Konflikte zu lösen, gibt Sabine Marx vom Kummerkasten Tipps auf erwachsene.kika.de.
Auch wenn die Partnerschaft nicht funktioniert hat, können Eltern für ihr Kind trotzdem verlässliche Eltern bleiben. Eine etablierte Alltagsstruktur und kooperierende Eltern können dem Kind helfen, sich im neuen Modell zurecht zu finden. Geborgenheit und Verlässlichkeit beider Elternteile sind für das Kind wichtig.
Wenn gemeinsame Gespräche zwischen Ex-Partnern nicht mehr möglich sind, können sie sich an Mediatoren wenden. Im Sinne des Kindes ist es, dass es die Möglichkeit erhält, zu seinen Eltern eine positive Beziehung aufrecht erhalten zu können.
Wenn Eltern durch die Trennung psychisch geschwächt sind, sollten sie sich soziale Unterstützung suchen. Gleiches gilt auch für Kinder. Manche Kinder leiden stark unter einer Trennung. Bei Problemen in und nach der Trennungszeit gibt es für Eltern und Familien verschiedene Ansprechpartner.
Hilfe für Eltern nach oben
Wie können Eltern bei einer Trennung mit dem eigenen Kummer umgehen?
Sabine Marx: Bleiben Sie nicht allein mit Ihrem Kummer und entlasten Sie sich in Gesprächen mit einem guten Freund oder Verwandten. Bauen Sie sich ein Netz auf, dass Sie stützt und dass auch mal bei der Betreuung der Kinder hilft. Versuchen Sie, sich bewusst Auszeiten vom Familienstress und Kummer zu gönnen und etwas Gutes zu tun.
Eltern können sich jederzeit an das Jugendamt wenden und um Beratung und Unterstützung bitten. Dort erhalten sie auch Adressen von Beratungsstellen vor Ort: Es gibt in vielen Städten und Gemeinden Erziehungs- und Familienberatungsstellen in kirchlicher und freier Trägerschaft, die Unterstützung anbieten, meistens auch kostenfrei und auf Wunsch auch anonym. Daneben gibt es auch Vereine, Selbsthilfeinitiativen und -gruppen für Eltern in der Trennungsphase.
Wenn das Verhältnis zwischen den Elternteilen sehr belastet und das Misstrauen groß ist, kann es auch sinnvoll und hilfreich sein, eine Mediation in Anspruch zu nehmen, um im Gespräch zu bleiben und Entscheidungen treffen zu können.
- Arbeitsgemeinschaft Alleinerziehende im Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche (agae)
- Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e. V.
- Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugend- und Eheberatung e. V.
- Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e. V.
- Deutscher Kinderschutzbund Bundesverband e. V.
- Deutsche Liga für das Kind in Familie und Gesellschaft e. V.
- Internationaler Sozialdienst
- Katholische Arbeitsgemeinschaft Interessenvertretung Alleinerziehende (AGIA)
- Pro Familia – Bundeverband Arbeitsbereich Trennung-Scheidung-Mediation
- Selbsthilfeinitiative Alleinerziehender (SHIA)
- Verband alleinerziehender Mütter und Väter – Bundesverband e. V.
- Verband binationaler Familien und Partnerschaften – iaf e. V..
Wie können Eltern ihrem Kind Sicherheit vermitteln, trotz eigener Unsicherheit?
Sabine Marx: Wichtig ist, sich klar zu machen: Sie bleiben Mutter bzw. Vater und sind für Ihr Kind verantwortlich, auch wenn Sie sich als Paar trennen. Beobachten Sie Ihr Kind aufmerksam, bieten Sie sich immer wieder als Gesprächspartner an, nehmen Sie seine Gefühle wahr und ernst und beantworten Sie offen und ehrlich seine Fragen.
Sagen Sie Ihrem Kind, welche Veränderungen auf es zukommen werden, aber auch, was sich nicht ändern wird: Sie sind und bleiben weiterhin die liebende Mutter oder der liebende Vater. Achten Sie auch in der Phase des Umbruchs und der Veränderungen auf verlässliche Alltagsstrukturen und Abläufe. Sie geben Ihrem Kind Sicherheit. Auch wenn es vielleicht schwer fällt: Ziehen Sie Ihr Kind nicht in den Streit mit Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin hinein. Versuchen Sie Loyalitätskonflikte für Ihr Kind zu vermeiden und verlangen Sie nicht von ihm, Partei zu ergreifen.
Wenn Sie sich überfordert fühlen, scheuen Sie sich nicht, Freunde und Verwandte um Hilfe und Unterstützung zu bitten oder sich professionelle Hilfe zu suchen.
Hilfe für Kinder nach oben
Mit wem kann das Kind reden, wenn es mit den Eltern nicht reden will oder kann?
Sabine Marx: Das Jugendamt ist helfender Ansprechpartner für Kinder. Ebenso können Kinder Hilfe und Unterstützung in Erziehungs- und Familienberatungsstellen erhalten. Dort kann auch beurteilt werden, ob möglicherweise eine weiterführende therapeutische Unterstützung sinnvoll ist.
Daneben gibt es Selbsthilfegruppen für Trennungskinder. Ein Austausch mit Kindern, die gerade dieselben oder ähnliche Erfahrungen machen, kann als sehr tröstlich und stärkend erlebt werden. Geborgenheit und Trost können Kinder auch durch andere Verwandte wie zum Beispiel Großeltern, die Lieblingstante oder den Lieblingsonkel erhalten.