Mit Spaß, ohne Klischees: Die Macherinnen von "Gong!" im Interview

Im Mittelpunkt der Serie „Gong! Mein spektRakuläres Leben“ steht der Alltag der zehnjährigen Autistin Eileen. Wie das Team die Themen Autismus und Neurodivergenz für Grundschulkinder erzählen möchte und wie die Vorbereitungen dafür aussahen, erfahrt ihr hier.

Eine Frau mit dunklen Haaren steht neben einer Filmkamera und ruft mit erhobener Hand etwas.

Hannah-Lisa Paul

Hannah-Lisa Paul ist die Regisseurin der Serie. Auf den Dreh von "Gong!" hat sie sich unter anderem mit einem Coaching und durch Gespräche mit Menschen aus dem Autismusspektrum vorbereitet.

Hannah-Lisa Paul: Wir haben uns vor allem zum Schutz der Personen dazu entschieden. Stress, Überraschungen, also unvorhergesehene Ereignisse, viele Menschen. Das sind alles Gegebenheiten, die autistischen Personen schaden und die man vermeiden sollte. Leider bedeuten Dreharbeiten genau das: Viele unterschiedliche Menschen, ständige unvorhergesehene Änderungen und hoher Druck, auch wenn wir diesen versuchen so gering wie möglich zu halten. Die Rolle Eileen drehte an jedem einzelnen Drehtag. Deswegen war es leider nicht möglich, mit einer autistischen Schauspielerin in der Hauptrolle zu arbeiten. Trotzdem freuen wir uns, dass wir als Komparsen, seien es Gäste beim Kindergeburtstag oder als Mitschüler*innen mit Autist*innen besetzen konnten.

Hannah-Lisa Paul: Mir war eine sehr gründliche Recherche und viel Kommunikation mit verschiedenen Expert*innen wichtig. Ich wollte vor allem keine Klischees reproduzieren und mit Eileen einen eigenständigen Charakter formen, in dem sich möglichst viele Personen wiedererkennen oder eine Verbindung schaffen können. Katherine Zimmermann, Mitideengeberin und Autorin, selbst im Spektrum, war meine engste Beraterin, sie war auch öfter am Set. Außerdem durfte ich mit Rahel, einer 13-jährigen Autistin sprechen, sie hat uns in den Drehbüchern und auch im Schnitt beraten und mir viel über ihre Wahrnehmung und ihr Inneres erzählt und auch, was sie oft an der Darstellung autistischer Personen stört. Podcasts und verschiedene Instagram-Kanäle wurden für mich zu wichtigen Recherchetools. Ebenso hatte ich ein Coaching mit einer Lerntherapeutin.

Hannah-Lisa Paul: Mit unserer Darstellerin Julia habe ich dann den Charakter von Eileen sehr intensiv entwickeln dürfen. Durch Tagebucheinträge und viele Gespräche und persönliche Treffen (z. B. mit einer Schulbegleiterin, die täglich autistische Personen begleitet) haben wir uns gemeinsam der Rolle angenähert.
Wir haben damit begonnen, Gemeinsamkeiten zwischen Julia und Eileen zu finden, um zu einer authentischen Darstellung zu kommen. Julia hatte schon mal eine Autistin gespielt, die jedoch ganz anders eingeschränkt war. Hier war die Arbeit, sich davon und auch von manchen Bildern, die wir von Autist*innen haben, zu lösen.
Wir haben immer wieder gemeinsam überlegt, wie sich Eileen in den spezifischen Situationen fühlen könnte und was sie denkt. Oft haben Metaphern geholfen, um diese Gefühle zu übersetzen. Beim ersten Meltdown in Folge 1, wenn sie schreit, weil alle auf sie einreden, haben wir uns ein Bild überlegt: Eileen hat einen großen, durchsichtigen Ballon um sich, in dem es immer lauter wird und aus dem sie nicht ausbrechen kann. Auch verschiedene Atemübungen, ganz viele und offene Gespräche haben geholfen, großes Vertrauen aufzubauen, das für diese intensive Zusammenarbeit unverzichtbar ist.

Hannah-Lisa Paul: Das Sprichwort zeigt, dass jede*r Autist*in genau so individuell ist wie jede neurotypische Person auch. Deswegen war es uns auch so wichtig, dass Eileen das erklärt. Natürlich gibt es Gemeinsamkeiten, aber die Charaktereigenschaften oder Interessensgebiete, genau wie mögliche Probleme, sind sehr individuell und keinesfalls allgemein anwendbar.

Eine Frau mit kurzen dunkelblonden Haaren steht zwischen den Sitzen eines Busses und zeigt erhobene Daumen.

Sara Lena Rumpf

Sara Lena Rumpf ist die Producerin von "Gong!". Bei dem Projekt war ihr wichtig, Perspektiven von Autist*innen miteinzubeziehen und nicht in die "Klischeefalle" zu tappen.

Sara Lena Rumpf: Uns war in der Vorbereitung vor allem wichtig, dass wir Perspektiven von Autist*innen miteinbeziehen. Wir hatten das Glück, mit verschiedenen Menschen sprechen zu können und haben auch dank unserer Autorin Katherine Zimmermann gute Literatur zum Thema erhalten. Das hat uns in der Umsetzung sehr geholfen, nicht in die „Klischeefalle“ zu tappen. Eileen ist Autistin, aber sie ist auch eine 11-Jährige, die mit alltäglichen Herausforderungen konfrontiert wird. Zudem wurden wir von Expert*innen aus der Pädagogik sowie der Psycho- und Lerntherapie beraten.

Sara Lena Rumpf: Die Entscheidung war nicht von Anfang an da. Eigentlich haben wir sogar gezielt nach einer autistischen Darstellerin gesucht. Weil wir aber mit Kindern gearbeitet haben, hatten wir eine besondere Verantwortung. Ein Filmset, selbst mit einem klasse Team, wie wir es hatten, ist ein lauter und stressiger Ort. Und die Hauptdarstellerin musste an jedem Drehtag anwesend sein. Die Umstände an einem Filmset können für Autist*innen eine enorme Belastung bedeuten. Für uns war das Wohl der Kinder das Wichtigste, weshalb wir für diese Produktion keine Autistin in der Hauptrolle besetzen konnten. Vor und hinter der Kamera haben aber Menschen mitgearbeitet, die sich auf dem Spektrum befinden, so zum Beispiel manche Kompars*innen, die Geburtstagsgäste oder Mitschüler*innen spielten.

Eine Frau mit braunen Haaren und grünen Augen lächelt.

Corinna Poetter

Corinna Poetter ist die Head Autorin der Serie "Gong!". Ihr war es wichtig, die Themen Autismus und Neurodivergenz möglichst niedrigschwellig und selbstverständlich zu erzählen.

Corinna Poetter: Wir haben im Team mit Berater*innen gearbeitet sowie gründliche Recherche und persönliche Erfahrungen mit eingebracht. Katherine – selbst neurodivergent - hat bei allen Folgen „den Autismuscheck“ gemacht, es war sehr interessant für mich als neurotypische Person, mich in eine neurodivergente Figur hineinzuversetzen und die Welt mit ihren Augen zu sehen.

Corinna Poetter: Wir haben versucht, die Themen möglichst niedrigschwellig und selbstverständlich zu erzählen. Das Problem hängt oft am anderen Ende der Leine, will heißen, Kinder im Grundschulalter gehen in der Regel noch ohne Hemmungen oder Vorurteile aufeinander zu und begegnen sich, nehmen die oder den Andere*n an, so wie sie/er/dey ist. Und natürlich haben wir viel in der Autor*innengruppe diskutiert. Grundsätzlich wollten wir aber Geschichten schreiben, die Spaß machen!

Corinna Poetter: Kinder sollen ermutigt werden, im Rahmen ihrer Möglichkeiten, mit neuen oder ungewohnten Situationen umzugehen. Es ist nicht die Aufgabe von Eltern, den Kindern ALLE Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Eltern sollten – je nach Alter und Entwicklungsstand ihres Kindes – eher am Spielfeldrand stehen und wohlwollend beobachten, unterstützen, ermutigen, aber auch eingreifen, wenn gefoult wird. Eileens Eltern unterstützen Eileen in allen Unternehmungen/Ideen, die sie hat. Sie sagen nicht: das kannst du nicht, das schaffst du nicht, das ist ungeeignet/gefährlich für dich. Sie sagen: Klar, warum nicht? Sicher hat Eileen mit Sören einen Schulbegleiter, der sie im Schulalltag unterstützt, sie bekommt Therapiestunden, trotzdem sind es die Eltern, die – neben Eileens Bruder Lenni und ihren Freund*innen -  Eileen in ihren Entscheidungen und Versuchen, ihren Platz im Leben zu finden, ermutigend  begleiten.

Eine Frau mit dunklen Haaren und einer braunen Brille lächelt.

Katherine Zimmermann

Katherine Zimmermann hat als Autorin an der Serie mitgearbeitet. Sie ist selbst Autistin und will mit der Figur Eileen das klischeehafte Bild vom „typischen Autisten“ aufbrechen.

Katherine Zimmermann: Ich habe einen Autisten geheiratet und mit Ende 30 selbst die Diagnose bekommen. Dass ich mein Leben lang irgendwie „anders“ ticke, wusste ich. Durch die Beschäftigung mit dem Thema, durch Zuhören und den Austausch mit erwachsenen Autist*innen sowie letztlich durch die Diagnose, die unsere Vermutung bestätigt hat, hat alles – auch im Blick auf meine Kindheit – allmählich Sinn für mich ergeben. In der Figur Eileen steckt viel von alldem.

Katherine Zimmermann: Wie sich Autismus anfühlt, ist eine lustige Frage. Wie fühlt es sich denn an, nicht autistisch zu sein? Das ist für jeden Menschen ganz individuell. Ich fühle eher die Konflikte, wenn ich im normativen System „nicht richtig funktioniere“ und mir bewusst wird, dass ich „anders“ bin. Andererseits weiß ich mich und meine Eigenheiten mittlerweile schon sehr zu schätzen. Eileen findet sich, glaube ich, auch sehr ok, auch wenn sich die Welt „da draußen“ mächtig fremd anfühlt. Das Gefühl, was viele Autist*innen verbindet: Wie ein Alien.

Katherine Zimmermann: Autismus ist ein Spektrum, und die Menschen im Spektrum sind ebenso unterschiedlich wie diejenigen außerhalb. Es gibt einige typische Bereiche, die bei Autist*innen im Vergleich zu neurotypischen Personen mehr oder weniger ausgeprägt bzw. eingeschränkt sind (z.B. Sprachentwicklung, soziale Kommunikation, intensive Interessen etc.), das allein ergibt schon eine unendliche Vielfalt. Darüber hinaus definiert sich ein neurodivergenter Mensch über weit mehr als „nur“ den Autismus. Mit "Gong!" wollen wir das klischeehafte Bild vom „typischen Autisten“ aufbrechen.

Katherine Zimmermann: Eileen hat eine unsichtbare Behinderung. Sie ist klug, gesund und ein ganz normales Kind – mit einem neurologischen Unterschied. Besonders Mädchen und Frauen passen sich dem Umfeld, dem normativen System, extrem gut an. Deshalb bleiben sie oft ohne Diagnose. Eileen „maskiert“ – was ihr in sozialen Situationen mal mehr, mal weniger gut gelingt. Dieses Maskieren ist sehr anstrengend für Autist*innen, denn die Maske fällt erst, sobald sie sich wieder geben können, wie sie eigentlich sind. Wir zeigen Eileen auch in vielen Situationen, wo sie sich – zum Beispiel von ihrer Familie und ihren Freund*innen – angenommen fühlt und sie selbst sein kann. Wie sich Autismus bei jeder einzelnen Person äußert, ist ganz unterschiedlich. Manchmal sind es nur kleine typische Gesten, die ab und an zum Vorschein kommen, bei anderen ist ein bestimmtes Verhalten viel deutlicher ausgeprägt.

Julia, die Eileen verkörpert, ist selbst nicht autistisch. Sie spielt authentisch mit dem Gefühl, das Eileen in sich trägt, und einigen Tipps von mir (z.B. zum Thema Augenkontakt). Wir haben entschieden, diese Natürlichkeit beizubehalten und kein aufgesetztes „typisch autistisches“ Verhalten zu implementieren.

Katherine Zimmermann: Autist*innen können das Gefühl haben, auf dem „falschen Planeten“ gestrandet zu sein. Die Welt bzw. die Gesellschaft ist dieselbe für neurotypische (NT) und neurodiverse (ND) Personen, aber das „kulturelle Verständnis“, die Wahrnehmung, sind anders. Für NT selbstverständliche Situationen müssen ND immer neu interpretieren. Vielen fällt es schwer, die Mimik oder Gestik von anderen zu lesen, um deren aktuellen Gefühlszustand einschätzen zu können. Uneindeutige Botschaften verwirren zusätzlich. Wir sprechen über dieselben Dinge und meinen doch ganz unterschiedliche.

Katherine Zimmermann: Eileen hat eine ausgeprägte Detailwahrnehmung. Besonders in Stress-Situationen hält sie sich an Kleinigkeiten fest: dem Muster der Bodenfliesen, flackerndem Licht, einem Reißverschluss. Eine wirre Geräuschkulisse kann sie nicht filtern, sondern nimmt jedes Geräusch gleichwertig wahr, was zur Überreizung führt. Deshalb trägt sie Kopfhörer. Sprachliche Bilder oder Redewendungen verarbeitet ihr autistisches Gehirn zunächst wörtlich, was zu Missverständnissen führt. Konventionen der sozialen Interaktion mit anderen muss sie auswendig lernen und quasi erraten, welche in der aktuellen Situation angebracht sind. Wenn sie Gefahr läuft zu überreizen, stimmt (Stimming = kurz für self-stimulatory behavior bzw. selbststimulierendes Verhalten) sie mit ihren Prismen. Stimming kann ganz unterschiedlich aussehen (Fidget Toys, Armschmuck, Flapping, …). Dass sie sich in der Mitte wohl fühlt oder nur an einer speziellen Stelle über die Straße gehen will, hat etwas mit ihrem Bedürfnis nach Beständigkeit zu tun. Das sind ihre ganz persönlichen Strategien. Andere Themen sind Kleidung, in der man sich wohl fühlt, Augenkontakt vermeiden (weil anstrengend und unangenehm), Körperkontakt – besonders mit Fremden, auch beim Händeschütteln – ist meist unangenehm.

Katherine Zimmermann: Eigentlich begegnest du autistischen Menschen genauso wie allen anderen auch. Wenn du ein bisschen was über Autismus weißt, kannst du darauf natürlich besonders achten und vielleicht mit der Person darüber reden. Was den meisten Autist*innen hilft: Achte mit auf eine ruhige und nicht zu wuselige Umgebung. Vielleicht dudelt irgendwo ein Radio unbemerkt im Hintergrund, das du ausschalten kannst. Berühre eine autistische Person oder ihre Sachen nicht ungefragt, besonders wenn du sie nicht sehr gut kennst. Frage nach, was ihr helfen oder guttun würde. Sei achtsam, offen, neugierig, aber pack sie nicht in Watte. Vermeide Aussagen wie „Du siehst gar nicht autistisch aus“. Nimm die Person als die, die sie ist: als Mensch. Akzeptiere, wenn Dinge, die für dich total normal sind, für die Person unangenehm oder unmöglich sind. Es gibt immer auch andere Möglichkeiten.

Katherine Zimmermann: Wie sich diese Person verhält, kann merkwürdig auf dich wirken. Dahinter steckt aber ein Mensch wie du, mit Gefühlen, Gedanken, Ideen und Interessen. Je mehr du Autismus verstehst, desto weniger „komisch“ wird dir das Verhalten vorkommen.

Eltern sollten offen mit ihren Kindern über deren Ablehnung gegenüber einer autistischen Person sprechen, ohne sie direkt zu verurteilen. Es wird Gründe dafür geben: Unwissen, Unverständnis, Angst vor dem Unbekannten oder das Verhalten nicht einordnen können etc. Informiert euch gemeinsam, schaut Bücher und Filme/Serien/Dokus an und sprecht vielleicht mit der autistischen Person selbst.

Julia Kovacs  | Rechte: Fabian Stuertz

Julia Kovacs

Julia Kovacs ist Schauspielerin und verkörpert die Hauptfigur der Serie "Gong!", Autistin Eileen. Eine spannende Herausforderung!

Eileen ist ein besonderer Mensch: Sie nimmt die Welt, anders als die meisten Kinder, sehr intensiv wahr. Damit ist sie manchmal überfordert und dadurch entstehen Konflikte aber auch lustige Situationen, die ihren Freundinnen und Freunden oft eine neue Perspektive auf die Welt eröffnen.

Eileen ist klug, neugierig und freundlich, aber hat Schwierigkeiten, sich in andere Menschen hineinzuversetzen, sich an Veränderungen anzupassen und mag andere Routinen. Sie hat ihr eigenes, klares Bild von der Welt und sich selbst, das andere nicht verstehen und umgekehrt. Natürlich ist Eileen besonders, aber allzu unterschiedlich sind wir nicht.

Als ich das Drehbuch gelesen habe, konnte ich an der Art, wie Eileen sich benimmt und redet schon ganz gut verstehen, wie sie ist. Ich habe am Anfang nicht verstanden, warum Eileen Kopfhörer trägt ohne Musik zu hören, warum sie manchmal in ihrer eigenen Welt zu sein scheint und nicht auf andere Menschen reagiert oder warum sie ihre Gefühle und Wünsche immer so logisch erklärt.

Es war eine sehr spannende und herausfordernde Erfahrung, die Rolle zu spielen. Normalerweise bin ich ein sehr emotionaler Mensch, was ich auch gerne nach außen zeige, was Eileen eher nicht tut. Ich habe versucht, mich in Eileen hineinzuversetzen, um sie besser zu verstehen, ihre emotionale Welt trotzdem zu vermitteln und ihr eine Stimme zu geben. Ich hoffe, dass die Zuschauer sie genauso lieben werden, wie ich.

Stand: Tue Oct 17 08:55:30 CEST 2023 Uhr