Neuer Blick auf alte Märchenstoffe
Interview mit Stefan Pfäffle
Eltern möchten ihren Kindern oft ein Stück der eigenen Kindheit mit auf den Lebensweg geben. Filme, Serien und Märchen werden dann bisweilen ausgewählt und gemeinsam geschaut, die man selbst schon als Kind kennen und lieben gelernt hat. Doch Themen und Rollenbilder ändern sich und alte Märchenstoffe müssen neu erzählt werden. Wir haben Stefan Pfäffle dazu befragt. Hier sind seine Antworten.
Stefan Pfäffle: "Märchen vermitteln einerseits zeitlose Werte wie z.B. „Gerechtigkeit“ oder „Familie“, „Liebe“. Andererseits läuft man gerade bei traditionell erzählten Märchen natürlich Gefahr, heute veränderten Haltungen zu diesen Werten gegenüber zu stehen und so etwa veraltete Rollenbilder und andere überkommene Klischees zu tradieren und fortzuschreiben, z.B. das hilflose Aschenputtel oder das wunderschöne Schneewittchen, die beide nur von einem Mann gerettet werden können, die böse Stiefmutter, die in jedem Märchen die Inkarnation des Bösen ist oder der Wolf, der Rotkäppchens Großmutter einfach auffrisst.
Das Genre erlaubt es aber, auf die alten Stoffe mit einem neuen Blick zu schauen. Das Märchen ist generell offen für zeitgemäße Interpretationen und Rollendarstellungen. Da wir diese zeitgemäßen Interpretationen erzählen wollen, braucht es hin und wieder Neuverfilmungen alter Märchenstoffe. Gerade die Kolleginnen und Kollegen von ARD und ZDF, die übrigens den Großteil unserer aktuellen Märchenproduktionen für den KiKA beisteuern, gehen da mit vielen guten Beispielen voran."
Stefan Pfäffle: "Jede Zeit hat ihre Themen, die viele, wenn nicht sogar alle Menschen betreffen. Weil das Genre „Märchen“ seit jeher solche menschlichen Grundfragen thematisieren, ist es natürlich in besonderem Maß geeignet, auch die Grundfragen unserer heutigen Zeit zu behandeln. Oft sind diese Themen und Fragen sehr zeitgenössisch und existierten zum Zeitpunkt der Entstehung uns bekannter alter Märchen noch gar nicht, ebenso oft aber hat sich über die lange Zeit an den Themen auch gar nichts geändert. Wir blicken nur heute anders darauf als damals. Und so behalten auch moderne Märchen gerne die Grundelemente und den magischen Charme traditioneller Märchen bei, passen sie jedoch an die zeitgenössische Gesellschaft und die aktuellen Themen an. Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Vielfalt, Toleranz, technologischer Fortschritt oder veränderte Rollenbilder: moderne Märchen packen zeitgenössische Themen an, auch wenn sie eventuell in recht traditionellem Gewand daherkommen. Ich möchte hier stellvertretend das recht moderne Frauenbild in Die Prinzessin und der Fluch der Zeit hervorheben. Märchen tradieren generell Werte und soziale Normen und erzählen von Gemeinschaft, aber auch den Voraussetzungen für das Gelingen von persönlichem Leben. In der Auseinandersetzung mit den Inhalten von Märchen – auch wenn sie zeitgenössisch sind – kann man sich in all diese Fragenstellungen einüben und so durchaus mit den Geschichten Identität entwickeln. Insofern braucht es durchaus auch heute neue Märchen für Kinder."
Stefan Pfäffle: "Seit nunmehr fünf Jahren erstellt KiKA in Koproduktion mit dem tschechischen und dem slowakischen öffentlich-rechtlichen Sender einen Märchenfilm im Jahr. Bei jedem Film – außer Krakonos Geheimnis, der sich an Rübezahl-Legenden anlehnt – handelt es sich um einen Originalstoff. Mit Tschechien verfügen wir über eine lange gemeinsame Tradition des Märchenerzählens. Berühmtestes Beispiel ist sicherlich er Film Drei Haselnüsse für Aschenbrödel von 1973. Die Zusammenarbeit mit Česká televize gestaltet sich derart, dass die tschechischen Kollegen, die inhouse auch die komplette Produktion stemmen, mit einem Vorschlag auf uns zukommen, den wir diskutieren und gemeinsam verabschieden. Anschließend beginnt die Arbeit am Drehbuch, das so weit entwickelt wird, bis alle Partner damit zufrieden sind. Das erfordert natürlich Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten. Über die Zusammenarbeit mit den tschechischen Kollegen hinaus verfügt der KiKA leider nicht über die Mittel, zusätzliche Märchen zu produzieren. Aber an dieser Stelle konnten in den vergangenen Jahren immer die Kollegen von ARD und ZDF in die Bresche springen, die ihrerseits ebenfalls neue Märchenfilme produziert haben."